Freiheit - Freigeist - Freisein.
Selten zuvor war dieses Thema wohl präsenter als zur Zeit, zur aktuellen "Corona-Zeit". Plötzlich erleben wir Einschränkungen die - zumindest meine Generation - noch nie erlebt hat. Lange habe ich überlegt ob und wie ich mich dem Corona-Thema widmen soll - als Psychotherapeutin gäbe es unzählige Ansatzpunkte und Fragen - Krisenmanagement, Umgang mit Ängsten, Selbstmanagement, Familienstrukturen, Selbstreflexion und Entschleunigung. Um nur einige zu nennen. Vieles gibt es bereits zu lesen. Daher widme ich mich einem Thema, das mir selbst sehr am Herzen liegt: Freiheit. Aber was ist Freiheit? Ein Lebensgefühl? Eine Geisteshaltung? Sind es Handlungsspielräume?
Mein Drang nach Freiheit war schon immer recht ausgeprägt, schon als Kind wollte ich alles alleine machen. Zur Abiturfeier wählte ich den Song "Spread your wings" von Queen und freute mich auf die große weite Welt und meine ganz persönlichen Freiheiten. Frei einen Beruf ganz nach meinen eigenen Interessen zu wählen. Frei ein ganzes Jahr ohne Verpflichten gestalten zu können - ohne elterliche Kontrolle, ohne schulische Zwänge. Immer in dem dankbaren Bewusstsein, dass dies ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit und insbesondere mit Selbstständigkeit noch lange nichts zu tun hatte. Auch wenn ich damals wohl anderer Meinung war. Freiheitsgefühl und Autonomie sind ganz offensichtlich keine Synonyme. Die Abhängigkeit zu meinen Eltern war noch lange gegeben - dennoch schmälerte dies keineswegs mein Gefühl von Freiheit. Meine Eltern gaben mir Flügel um zu fliegen - um meinen eigenen Weg zu finden, nicht den ihren zu gehen. Wohl wissend, dass dieses Freiheitsgefühl, das Aufspannen der Flügel und das Fliegen wohl nur mit ihrer Unterstützung, ihrem zugrundeliegenden Vertrauen möglich war. Braucht es also Strukturen, Sicherheiten und Abhängigkeiten damit wir frei sein können und uns frei entfalten können? Müssen wir uns erst sicher fühlen, damit wir mutig sein können? Aber ist dies nicht ein Paradoxon - gibt es Freiheit nur mit Absicherung? Oder aber kommt ein Gefühl von Sicherheit durch Mut, Wagnis und das Eingehen von Unsicherheiten? Psychologisch würde man dies wohl als wechselseitige Beziehung und im besten Falle positive Aufwärtsspirale bezeichnen. Was dann am Ende aber dennoch darin mündet, dass wir für das Ausleben unserer Freiheiten und für das Aushalten von Unsicherheiten, eine zugrundeliegende Sicherheit benötige. So schlecht sind also auch Strukturen und Abhängigkeiten nicht - stellen sie doch eine sichere Basis da, die es uns erst ermöglicht mutig und frei zu sein.
Zudem gibt es wohl auch etliche Bereiche, in denen ich gut und gerne auf Freiheiten verzichte. Mache ich mich dadurch abhängig? Ich glaube nicht. Wie schön kann es sein, wenn Entscheidungen abgenommen werden - ich mich nicht für alles verantwortliche fühle, nicht das Gefühl habe, immer alleine funktionieren zu müssen. Gerne gebe ich auch in Beziehungen Freiheiten ab - richte mich in Freundschaften nach Wünschen und Bedürfnissen der anderen, nicht nur - aber auch. Auch Treue in einer Beziehung ist ein gutes Beispiel - der Verzicht auf Freiheit ist ein Gewinn an Sicherheit, Nähe und Geborgenheit, kein Verlust. Aber ja - dies sind frei gewählte Einschränkungen. Und so sind wohl auch diese Einschränkungen im Grunde wiederum Freiheiten. Zumindest diese eigenen, selbstgewählten Einschränkungen. So kann also auch ein selbstgewählter Verzicht eine wundervolle Freiheit sein.
Freiheit zu spüren, alle Möglichkeiten zu haben - kann aber nicht nur befreiend, sondern auch beängstigend und überfordernd sein. Wo ich noch als Kind alles alleine machen wollte, so freue ich mich heute über angebotenen Hilfe. Habe es (wieder) gelernt auch nach Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen - fühle mich dabei nicht schwach, sondern unterstützt und gesehen. Auch manche Vorgaben und Regeln machen mein Leben durchaus einfacher - sich einfach daran halten und gar nicht so viel in Frage zu stellen. So schön Freiheit auch sein kann - am Ende muss man Freiheit auch leben können.
Wie bekomme ich nun aber wieder den Bogen - zurück zu Corona und den damit erlebten Einschränkungen? Seit 25.2.2020 habe ich die Stadtgrenze Münchens nicht verlassen - so lange war ich wohl noch nie an nur einem Ort. Selten ist eine Woche vergangen in der ich nicht unterwegs war. Familie die ich nicht sehen kann, Freunde die ich nicht besuchen kann, Urlaube die storniert werden mussten, Kurztrips die nicht stattfinden konnten - alles Dinge die mein Leben sonst ausmachen, füllen und lebendig machen. Alles nicht mehr möglich. Umso mehr schwelge ich ich in Erinnerungen. Dankbar für diese Begegnungen und Erlebnisse - immer noch lebendig. Wer weiß, wann all dies wieder unbeschwert möglich sein wird.
Diese Schuhe fallen mir fast täglich entgegen. Diese Schuhe erinnern mich an unzählige Reisen. Diese Schuhe haben mich durch 27 Ländern getragen. Diese Schuhe sind mein Inbegriff von Freiheit. Diese Schuhe lösen selbst in meiner Münchner Stadtwohnung ein Gefühl von Abenteuer aus. Diese Schuhe zaubern ganz unmittelbar ein Lächeln in mein Gesicht. Diese Schuhe sind mit unzähligen wundervollen Menschen verknüpft. Diese Schuhe, der Staub und Sand der in diesen Schuhen steckt und all die Geschichten die diese Schuhe erzählen können, kann mir keiner mehr nehmen. Auch Corona nicht. Ich muss gestehen, nach 13 Wochen zu Hause ist das Fernweh groß - doch genauso groß ist die Dankbarkeit und Freude an all dem Erlebten. Egal wie es weiter geht, wann auch immer ich mich wieder frei bewegen kann, reisen kann - noch einmal mehr wurde mir bewusst, wie wichtig es ist nichts aufzuschieben. Wir leben jetzt - nicht später. Und alles was wir jetzt sammeln, sammeln wir für später! So eingeschränkt ich mich also auch jetzt das ein oder andere mal fühlen mag, so motiviert bin ich auch, meine Freiheiten zukünftig wieder ganz bewusst zu schätzen, zu genießen und vor allem zu LEBEN!
Wenn ich nun also nochmal ein Resümee ziehen mag, so muss ich sagen: Ja, so manches ist aktuell nicht machbar, ja es mag auch Regel geben die nicht immer ganz nachvollziehbar erscheinen, ja manchmal bin auch ich genervt. Aber ja, es hat mir auch wieder gezeigt, dass so vieles, das so selbstverständlich erscheint, so selbstverständlich gar nicht ist. Und so hoffe ich sehr, dass dieses Verständnis von Dankbarkeit und Bewusstsein - in unseren Köpfen bleibt und wir wieder mutiger durch´s Leben gehen, bewusst unsere Entscheidungen treffen - für Freiheit, aber auch für Sicherheit und ein Aufgeben von Freiheiten. Denn wie wir gesehen haben, schließt sich dies gar nicht aus, sondern bedingt sich vielleicht sogar. Lebendigkeit aber kann, darf und soll es immer geben. Auch jetzt. Gerade jetzt. Denn wenn nicht jetzt - wann dann?
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